· 

Wohin schauen wir? Gedanken zur Corona-Zeit

 

 

zurück

Wir bleiben daheim, restiamo a casa, stajon a cёsa. Wir schauen aus dem Fenster. Das Geschäft von gegenüber ist geschlossen, in den dunklen Schaufenstern hängen Faschingsgirlanden von der Decke. Babystrampler -40%. Ein Augenblick ist erstarrt und dehnt sich aus. Wir haben zu tun: aufräumen, kochen. Irgendwann scheint alles erledigt, aber es bleibt noch Zeit übrig und wir erledigen weiter. Die Tage reihen sich aneinander und wir verlieren uns in einem langen Atemzug. Was machen wir heute Nachmittag? Im Scherz schlägt jemand vor, man könnte ja Skifahren gehen. In alter Gewohnheit antworten wir, gute Idee. Dann erinnern wir uns: Unmöglich, es ist ja alles zu. Stillstand. Die eigenen vier Wände lassen uns nicht mehr raus, wenn nicht zu dringenden Einkäufen oder sonstigen dringenden Erledigungen. Manchmal haben wir genug von Dringlichkeiten. Nachts träumen wir davon, wie wir vor einigen Wochen Münzen in eine Parkuhr warfen, uns in der Stadt in ein Café setzten, bei einem Cappuccino die Zeitung zur Hand zu nahmen und andere Nachrichten lasen.

 

schauen

Routine verändert den Blick. Das haben wir gemerkt. Wenn wir jeden Tag den gleichen Weg gehen, schauen wir nicht mehr so genau hin. Der Alltag ist ein Lied, wir tanzen zu seinem Rhythmus, lassen uns von ihm führen und singen mit. Jetzt ist es still und wir schauen. Wie tanzen wir ohne Musik? Können wir selbst spielen? Die Straßen sind verweist, Klassenräume verlassen, Kirchenbänke leer. Ja, wir haben sie gesehen: Bilder vom klaren Wasser in den Häfen, von menschenleeren Zentren in den Hauptstädten. Wir haben auch gesehen: überlastete Krankenhäuser. Einiges sehen wir nicht: Hunger, häusliche Gewalt, Überforderung. Die Welt hält den Atem an. Ostern verlief anders als gewohnt – wir haben es geahnt. Es wurden viele unserer Pläne durchkreuzt. Eine Reise nach Vietnam, ein runder Geburtstag, ein Auslandssemester, ein Musikwettbewerb. Jeden trifft es anders, aber jeden trifft es.

Manchmal ist der Stillstand keiner. Online Musik – Kunst – Treffen. Wir schauen, das Beste aus dieser Zeit zu machen. Und manchmal schauen wir einfach nur.

 

weiter

Wir warten: bei der Post. Bei der Gärtnerei. Beim Kiosk. Beim Kinderbekleidungsgeschäft. Tatsächlich haben seit kurzem einige Läden wieder geöffnet (Babystrampler nicht mehr -40%). Wir tragen Mundschutz und stehen in einigem Abstand zueinander, manche Blicke skeptisch, die Begrüßungen noch zögerlich – bist du es, Maria? – hab dich gar nicht erkannt, mit der Maske –

Wir hören in den Nachrichten: die Situation in den Krankenhäusern, der Wunsch, wieder anzufangen, neu zu starten. Wie geht es weiter? Schritt für Schritt werden Verordnungen gelockert. 200 Meter, 400 Meter. Wie viele Meter brauchen wir, um Anlauf zu nehmen? Wir warten: ab. Wir sehnen uns nach einem Stundenplan, einem Alltag. Die Bäume blühen, die Vögel zwitschern. Wer weiß, wann wir unsere Großeltern wieder besuchen können, wann wir wieder zur Arbeit und in die Schule gehen können -  und wie es dann sein wird. Wer weiß, wann wir wieder bei einem Cappuccino in einem Café sitzen werden. Wir warten darauf, und wenn es soweit ist, werden wir es hoffentlich zu schätzen wissen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Markus Rungger (Samstag, 02 Mai 2020 10:31)

    Hoila Nadia!
    Hat mir sehr gut gefallen..unterhaltsam...das Beste:
    wir erledigen weiter :)
    Liebe Grüße